Ethische Entscheidungen gehören zum Alltag von Pflegefachkräften. Sie fordern Professionalität, Menschlichkeit und moralisches Feingefühl.
Die Pflege von hilfsbedürftigen Menschen ist Herzenssache und bedeutet mehr als nur medizinische Versorgung. Dabei kommt es oft auch zu ganz grundlegenden Fragen. Doch wie trifft man eine gerechte Entscheidungen, wenn es keine klare Antwort gibt? Hier kann die Ethik in der Pflege helfen.
Die Tür zum Bewohnerzimmer ist angelehnt. Drinnen liegt Herr M., 84 Jahre alt, in seinem Bett. Ein Gurt fixiert ihn, damit er nicht aufstehen und stürzen kann. Der Blick des Mannes ist wach und fragend. Die Fixierung wurde ärztlich angeordnet, um Herrn M. vor Verletzungen zu schützen. Doch es bleibt das Gefühl, seine Würde zu verletzen.
Situationen wie diese gehören zum Alltag in der Pflege. Denn im Pflegeberuf geht es nicht nur um medizinische Abläufe oder organisatorische Routinen – sondern oft auch um schwierige Entscheidungen, bei denen das moralisch Richtige nicht immer klar auf der Hand liegt.
Um als Pflegefachkraft in solchen Situationen eine möglichst gerechte Entscheidung treffen zu können, gibt es die Pflegeethik, abgeleitet von der Medizinethik. Sie beginnt dort, wo fachliches Handeln allein nicht ausreicht, um dem pflegebedürftigen Menschen gerecht zu werden. Festgelegte Leitlinien helfen den Pflegerinnen und Pflegern, sich in moralischen Dilemmata für den richtigen Weg entscheiden zu können und eine patientenzentrierte Versorgung sicherstellen zu können.
Die Pflegeethik befasst sich mit den moralischen Prinzipien und Werten, die das Handeln von Pflegefachpersonen leiten. Sie dient als Orientierungshilfe bei der Entscheidungsfindung in komplexen Situationen, in denen unterschiedliche Interessen und Bedürfnisse aufeinandertreffen.
Hier steht die Selbstbestimmung der Patientinnen und Patienten im Vordergrund. Pflegekräfte respektieren die individuellen Entscheidungen und fördern die informierte Entscheidungsfindung.
Dieses Prinzip verpflichtet dazu, Schaden von den zu Pflegenden abzuwenden und potenzielle Risiken zu minimieren. Das gilt für körperliche und für seelische Schäden.
Pflegefachkräfte sollen aktiv das Wohl der Patientinnen und Patienten fördern und Maßnahmen ergreifen, die deren Gesundheit und Wohlbefinden verbessern.
Eine faire und gerechte Verteilung von Pflegeleistungen ist essenziell, unabhängig von persönlichen Merkmalen oder sozialem Status.
Im pflegerischen Alltag treten häufig Situationen auf, in denen die einzelnen Prinzipien miteinander in Konflikt geraten können. Ein strukturiertes Vorgehen kann dann helfen, solche Dilemmata zu analysieren und zu bewältigen: Dabei gilt es, alle relevanten Fakten zu erfassen und die Perspektiven der beteiligten Personen zu verstehen.
Im Anschluss folgt die ethische Bewertung: Es wird geprüft, welche Werte und Prinzipien im konkreten Fall berührt sind und in welchem Verhältnis sie zueinanderstehen. Oft zeigt sich, dass keine Lösung alle moralischen Ansprüche gleichermaßen erfüllt – die Kunst liegt dann in der begründeten Abwägung.
Sobald verschiedene Handlungsoptionen erarbeitet wurden, ist zu entscheiden, welche dieser Möglichkeiten ethisch am besten vertretbar ist. Auch praktische Konsequenzen, emotionale Auswirkungen und rechtliche Rahmenbedingungen fließen in diese Überlegungen mit ein. Nach der Umsetzung der gewählten Maßnahme ist es hilfreich, den Entscheidungsprozess gemeinsam zu reflektieren: Was hat gut funktioniert? Welche Aspekte hätten anders laufen können? Diese Nachbetrachtung trägt dazu bei, ethische Kompetenzen langfristig zu stärken und im Team weiterzuentwickeln.
1. Beispiel: Wunsch nach Therapiebegrenzung bei fortgeschrittener Demenz
In einem Pflegeheim äußert die Tochter einer demenziell erkrankten Bewohnerin den Wunsch, keine weiteren lebensverlängernden Maßnahmen durchführen zu lassen, sollte sich der Zustand der Mutter verschlechtern. Die Bewohnerin selbst kann sich dazu nicht mehr äußern. Das Pflegepersonal steht nun vor der Frage, ob der Wunsch der Angehörigen mit dem mutmaßlichen Willen der Patientin übereinstimmt und wie dieser respektvoll umgesetzt werden kann – unter Berücksichtigung der gesetzlichen Vorgaben und der Verantwortung gegenüber der Bewohnerin.
2. Beispiel: Überlastung und Priorisierung im Klinikalltag
Auf einer Krankenhausstation ist das Pflegepersonal stark unterbesetzt. Zwei Patientinnen benötigen gleichzeitig intensive Betreuung: Eine hat akute Atemnot, die andere zeigt starke Verwirrtheit und zieht sich ständig Katheter und Infusionen. Die Pflegekraft muss in kurzer Zeit entscheiden, wer zuerst Hilfe bekommt – und riskiert dabei, dass die andere Patientin Schaden erleidet. Dieses Beispiel zeigt, wie Gerechtigkeit, Fürsorge und das Prinzip des Nicht-Schadens miteinander in Konflikt geraten können.
Ethische Kompetenz ist ein integraler Bestandteil der professionellen Pflegepraxis. Sie ermöglicht es Pflegefachpersonen, in herausfordernden Situationen verantwortungsvoll zu handeln und die Würde sowie die Rechte der Patientinnen und Patienten zu wahren. Fort- und Weiterbildungen im Bereich der Pflegeethik fördern diese Kompetenz und tragen zur Qualitätssicherung in der pflegerischen Versorgung bei. Die Auseinandersetzung mit ethischen Fragestellungen stärkt nicht nur die professionelle Haltung, sondern auch die Zufriedenheit im Pflegeberuf.
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