Ethik in der Pflege: Junger Pfleger denkt über eine wichtige Entscheidung nach

Ethik in der Pfle­ge: Zwi­schen Herz und Ver­stand

Ethi­sche Ent­schei­dun­gen ge­hö­ren zum All­tag von Pfle­ge­fach­kräf­ten. Sie for­dern Pro­fes­sio­na­li­tät, Mensch­lich­keit und mo­ra­li­sches Fein­ge­fühl.

Die Pfle­ge von hilfs­be­dürf­ti­gen Men­schen ist Her­zens­sa­che und be­deu­tet mehr als nur me­di­zi­ni­sche Ver­sor­gung. Da­bei kommt es oft auch zu ganz grund­le­gen­den Fra­gen. Doch wie trifft man eine ge­rech­te Ent­schei­dun­gen, wenn es kei­ne kla­re Ant­wort gibt? Hier kann die Ethik in der Pfle­ge hel­fen.

Ethi­sche Leit­li­ni­en

Die Tür zum Be­woh­ner­zim­mer ist an­ge­lehnt. Drin­nen liegt Herr M., 84 Jah­re alt, in sei­nem Bett. Ein Gurt fi­xiert ihn, da­mit er nicht auf­ste­hen und stür­zen kann. Der Blick des Man­nes ist wach und fra­gend. Die Fi­xie­rung wur­de ärzt­lich an­ge­ord­net, um Herrn M. vor Ver­let­zun­gen zu schüt­zen. Doch es bleibt das Ge­fühl, sei­ne Wür­de zu ver­let­zen.

Si­tua­tio­nen wie die­se ge­hö­ren zum Alltag in der Pflege. Denn im Pfle­ge­be­ruf geht es nicht nur um me­di­zi­ni­sche Ab­läu­fe oder or­ga­ni­sa­to­ri­sche Rou­ti­nen – son­dern oft auch um schwie­ri­ge Ent­schei­dun­gen, bei de­nen das mo­ra­lisch Rich­ti­ge nicht im­mer klar auf der Hand liegt.

Um als Pfle­ge­fach­kraft in sol­chen Si­tua­tio­nen eine mög­lichst ge­rech­te Ent­schei­dung tref­fen zu kön­nen, gibt es die Pfle­ge­ethik, ab­ge­lei­tet von der Me­di­zi­nethik. Sie be­ginnt dort, wo fach­li­ches Han­deln al­lein nicht aus­reicht, um dem pfle­ge­be­dürf­ti­gen Men­schen ge­recht zu wer­den. Festgelegte Leitlinien helfen den Pflegerinnen und Pflegern, sich in mo­ra­li­schen Di­lem­ma­ta für den rich­ti­gen Weg ent­schei­den zu kön­nen und eine pa­ti­en­ten­zen­trier­te Ver­sor­gung si­cher­stel­len zu kön­nen.​

Was ist Ethik in der Pfle­ge?

Die Pfle­ge­ethik be­fasst sich mit den mo­ra­li­schen Prin­zi­pi­en und Wer­ten, die das Han­deln von Pfle­ge­fach­per­so­nen lei­ten. Sie dient als Ori­en­tie­rungs­hil­fe bei der Ent­schei­dungs­fin­dung in kom­ple­xen Si­tua­tio­nen, in de­nen un­ter­schied­li­che In­ter­es­sen und Be­dürf­nis­se auf­ein­an­der­tref­fen.

Die vier Prin­zi­pi­en der Ethik in der Pfle­ge

Au­to­no­mie

Hier steht die Selbst­be­stim­mung der Pa­ti­en­tin­nen und Pa­ti­en­ten im Vor­der­grund. Pfle­ge­kräf­te re­spek­tie­ren die in­di­vi­du­el­len Ent­schei­dun­gen und för­dern die in­for­mier­te Ent­schei­dungs­fin­dung.

Nicht-Scha­den

Die­ses Prin­zip ver­pflich­tet dazu, Scha­den von den zu Pfle­gen­den ab­zu­wen­den und po­ten­zi­el­le Ri­si­ken zu mi­ni­mie­ren. Das gilt für kör­per­li­che und für see­li­sche Schä­den.

Für­sor­ge

Pfle­ge­fach­kräf­te sol­len ak­tiv das Wohl der Pa­ti­en­tin­nen und Pa­ti­en­ten för­dern und Maß­nah­men er­grei­fen, die de­ren Ge­sund­heit und Wohl­be­fin­den ver­bes­sern.

Ge­rech­tig­keit

Eine fai­re und ge­rech­te Ver­tei­lung von Pfle­ge­leis­tun­gen ist es­sen­zi­ell, un­ab­hän­gig von per­sön­li­chen Merk­ma­len oder so­zia­lem Sta­tus.

Ethi­sche Ent­schei­dun­gen sys­te­ma­tisch tref­fen

Im pfle­ge­ri­schen All­tag tre­ten häu­fig Si­tua­tio­nen auf, in de­nen die ein­zel­nen Prin­zi­pi­en mit­ein­an­der in Kon­flikt ge­ra­ten kön­nen. Ein struk­tu­rier­tes Vor­ge­hen kann dann hel­fen, sol­che Di­lem­ma­ta zu ana­ly­sie­ren und zu be­wäl­ti­gen: Da­bei gilt es, alle relevanten Fakten zu erfassen und die Per­spek­ti­ven der be­tei­lig­ten Per­so­nen zu ver­ste­hen.

Im An­schluss folgt die ethische Bewertung: Es wird ge­prüft, wel­che Wer­te und Prin­zi­pi­en im kon­kre­ten Fall be­rührt sind und in wel­chem Ver­hält­nis sie zu­ein­an­der­ste­hen. Oft zeigt sich, dass kei­ne Lö­sung alle mo­ra­li­schen An­sprü­che glei­cher­ma­ßen er­füllt – die Kunst liegt dann in der be­grün­de­ten Ab­wä­gung.

So­bald ver­schie­de­ne Hand­lungs­op­tio­nen er­ar­bei­tet wur­den, ist zu ent­schei­den, wel­che die­ser Mög­lich­kei­ten ethisch am bes­ten ver­tret­bar ist. Auch prak­ti­sche Kon­se­quen­zen, emo­tio­na­le Aus­wir­kun­gen und recht­li­che Rah­men­be­din­gun­gen flie­ßen in die­se Über­le­gun­gen mit ein. Nach der Um­set­zung der ge­wähl­ten Maß­nah­me ist es hilf­reich, den Ent­schei­dungs­pro­zess gemeinsam zu reflektieren: Was hat gut funk­tio­niert? Wel­che As­pek­te hät­ten an­ders lau­fen kön­nen? Die­se Nach­be­trach­tung trägt dazu bei, ethi­sche Kom­pe­ten­zen lang­fris­tig zu stär­ken und im Team wei­ter­zu­ent­wi­ckeln.

Ethik in der Pfle­ge: Fall­bei­spie­le

1. Beispiel: Wunsch nach Therapiebegrenzung bei fortgeschrittener Demenz
In ei­nem Pfle­ge­heim äu­ßert die Toch­ter ei­ner de­men­zi­ell er­krank­ten Be­woh­ne­rin den Wunsch, kei­ne wei­te­ren le­bens­ver­län­gern­den Maß­nah­men durch­füh­ren zu las­sen, soll­te sich der Zu­stand der Mut­ter ver­schlech­tern. Die Be­woh­ne­rin selbst kann sich dazu nicht mehr äu­ßern. Das Pfle­ge­per­so­nal steht nun vor der Fra­ge, ob der Wunsch der An­ge­hö­ri­gen mit dem mut­maß­li­chen Wil­len der Pa­ti­en­tin über­ein­stimmt und wie die­ser re­spekt­voll um­ge­setzt wer­den kann – un­ter Be­rück­sich­ti­gung der ge­setz­li­chen Vor­ga­ben und der Ver­ant­wor­tung ge­gen­über der Be­woh­ne­rin.

2. Beispiel: Überlastung und Priorisierung im Klinikalltag
Auf ei­ner Kran­ken­haus­sta­ti­on ist das Pfle­ge­per­so­nal stark un­ter­be­setzt. Zwei Pa­ti­en­tin­nen be­nö­ti­gen gleich­zei­tig in­ten­si­ve Be­treu­ung: Eine hat aku­te Atem­not, die an­de­re zeigt star­ke Ver­wirrt­heit und zieht sich stän­dig Ka­the­ter und In­fu­sio­nen. Die Pfle­ge­kraft muss in kur­zer Zeit ent­schei­den, wer zu­erst Hil­fe be­kommt – und ris­kiert da­bei, dass die an­de­re Pa­ti­en­tin Scha­den er­lei­det. Die­ses Bei­spiel zeigt, wie Ge­rech­tig­keit, Für­sor­ge und das Prin­zip des Nicht-Scha­dens mit­ein­an­der in Kon­flikt ge­ra­ten kön­nen.

Be­deu­tung der ethi­schen Kom­pe­tenz in der Pfle­ge

Ethi­sche Kom­pe­tenz ist ein in­te­gra­ler Be­stand­teil der pro­fes­sio­nel­len Pfle­ge­pra­xis. Sie er­mög­licht es Pfle­ge­fach­per­so­nen, in her­aus­for­dern­den Si­tua­tio­nen ver­ant­wor­tungs­voll zu han­deln und die Wür­de so­wie die Rech­te der Pa­ti­en­tin­nen und Pa­ti­en­ten zu wah­ren. Fort- und Weiterbildungen im Bereich der Pflegeethik för­dern die­se Kom­pe­tenz und tra­gen zur Qua­li­täts­si­che­rung in der pfle­ge­ri­schen Ver­sor­gung bei.​ Die Aus­ein­an­der­set­zung mit ethi­schen Fra­ge­stel­lun­gen stärkt nicht nur die pro­fes­sio­nel­le Hal­tung, son­dern auch die Zu­frie­den­heit im Pfle­ge­be­ruf.​

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